Anton Bruckners 7. Sinfonie, Augsburger Philharmoniker mit Anthony Bramall

Stefan Dosch, Augsburger Allgemeine Zeitung, 06.02.2024

Anton Bruckners 7. Sinfonie, die Augsburger Philharmoniker mit Anthony Bramall am Pult: eine Sinfonie aus dem Standardrepertoire eines jeden großen Orchesters, geleitet von einem erfahrenen Gastdirigenten. Da wird nichts schiefgehen, denkt man sich, und lehnt sich gelassen zurück in neutraler Erwartung dessen, was da kommen wird.

Und dann – unmöglich zu sagen, wann, wo genau – dann ereignet sich einer dieser Momente, die man als Konzertbesucher nicht herbeizitieren kann, Situationen des Musikerlebens, die sich dem passiv harrenden Hörer eben nur einstellen, Überraschungen, mit denen man gar nicht gerechnet hat. Das Ohr hakt mit einem Mal ein, und mit ihm der aufnehmende Verstand, plötzlich ist die Aufmerksamkeit hoch gespannt, man meint, das auch anderswo im Saal zu spüren, meint obendrein, dass dies auch dem Sensorium der Musiker nicht entgeht: Ein Spannungswechselspiel zwischen Publikum und Interpreten ist da im Gange, vermittelt durch die Musik, durch Bruckners Siebte, deren Aufführung hier und heute schon im ersten Allegro alle Anzeichen des Besonderen trägt. Wird diese Bruckner- Höhe, fragt man sich im kurzen Atemholen beim Verklingen des Finalakkords des ersten Satzes, von Anthony Bramall und den Philharmonikern zu halten sein, über die Riesendimension des weiteren Sinfoniegebäudes hinweg?

Im zweiten Teil des Konzerts dann Bruckner. Gar nicht mystisch-verhangen, sondern flüssig von der ersten Themenvorstellung an, lichtzugewandt der mächtige erste Satz, an manchen Stellen von geradezu pastoraler Anmutung. Anthony Bramall ist sichtlich vertraut mit dieser Sinfonie, nur gelegentlich senkt er den Kopf auf die Partitur, richtet den Blick zumeist ins Orchester, lenkt mit weit ausholenden Gesten, verbindet Bruckners oft so erratisch wirkende Blöcke zu einer tönenden Folge von entwaffnender Sinnhaftigkeit. Das Orchester geht mit, ist spürbar inspiriert, Momente voller Intensität entstehen wie – Pars pro Toto – jene gut 20 Takte der Überleitung in die Coda. Bei Anthony Bramalls Bruckner passt einfach alles.

Das für die Aufführung von Bruckners Sinfonik so zentrale Vermögen, die weit ausgreifenden Perioden unter einen Spannungsbogen zu fassen, gelingt bezwingend auch im anschließenden Satz. In diesem Adagio führt Bramall Konstellationen herbei, in denen Musik nicht einfach mehr erklingt. Sondern spricht. Und man versteht. Alles passt, wirkt naturgemäß entwickelt, auch der Kulminationspunkt mit Paukenwirbel, Beckenschlag und Triangeltremolo – die alte Frage, ob die instrumentale Höhung als Bruckner-Original zu gelten hat oder nicht, hier ist sie hinfällig. Nach dem ergreifenden Satzschluss mit einer phänomenal intonierenden Hörner- und Tuben-Sektion – Primi inter Pares im Orchester – vermag Bramall im Scherzo die Temperatur nicht ganz zu halten, legt aber im Finalsatz noch einmal zu. Geradezu keck der Beginn, schlüssig sich wendend ins elegische zweite Thema. Und auch hier im Satzgefüge wundersam ruhige Inseln, Areale der Introspektion und des Kräftesammelns im Gefolge machtvoll aufbrechender Tutti, berstender Klänge mit glühenden Blechbläser-Kernen – und doch geschichtet in glasklarer Struktur.

Ein Bruckner, wie man ihn lange nicht in Augsburg zu hören bekam. Jubel für die Philharmoniker, Jubel für Anthony Bramall.

Premiere Madama Butterfly von G. Puccini an der Oper Leipzig

Dieter David Scholz, MDR Figaro

Frage 3: Ist es auch musikalisch so bewegend?

Allerdings! Anthony Bramall, der ja ein sehr analytischer Dirigent ist, hat der Oper alle falsche Süßlichkeit ausgetrieben, hat alles Klischeehafte außenvorgelassen. Er läßt Puccini glasklar, absolut transparent musizieren. Selten hört man das Werk so straff, so spannend, so strukturell, um nicht zu sagen „modern“ mit allen Vorgriffen auf „Turandot“. Das Gewandhausorchester folgt Bramall mit großer Präzision und Klangsinnlichkeit. Und bei allen Bemühen um Sachlichkeit läßt es Bramall doch auch nicht an Mut mangeln, die mitreißende Emotionalität der Musik zuzulassen, aber eben ohne in Sentimentalität zu ertrinken. Es ist kontrollierte Extase, der man beiwohnt. Ein großer Abend, auch musikalisch.

Premiere Madama Butterfly von G. Puccini an der Oper Leipzig

Peter Korfmacher, Leipziger Volkszeitung 16.03.2015

Anthony Bramall räumt am Pult des Gewandhausorchesters um Konzertmeister Frank-Michael Erben gründlich auf mit dem Klischee vom Rührstück, das vor allem die Taschentücher des Publikums ins Auge fasst .... Bramall leuchtet mit präzise forderndem Schlag tief hinein in die einzigartige Partitur, treibt ihr die Sentimentalitäten aus, gibt den Kitsch keine Chance - und bleibt dennoch der Emotion verpflichtet und der Schönheit. Vor dem Hintergrund dieser skrupulös-disziplinierten Musizierhaltung entfalten selbst die heikelsten Momente, der Summchor am Ende des zweiten, das Vogelzwitschern zu Beginn des dritten Aktes, ihren Zauber ohne Reue.

Beethovens IX. Sinfonie mit der Staatskapelle Halle

Martin Schöler, Leipziger Internetzeitung

Anthony Bramall ist kulturbeflissenen Leipzigern vornehmlich in seiner Funktion als stellvertretender Generalmusikdirektor der Oper Leipzig bekannt. Am Mittwoch leitete der Brite das Silvesterkonzert der Staatskapelle Halle. Auf dem Programm stand Beethovens 9. Sinfonie.

Anthony Bramall experimentiert nicht, sondern fasst das Werk beinahe mit Samthandschuhen an. 62 Minuten Spielzeit klingen nach forschem Tempo. Doch anders als Riccardo Chailly im Gewandhaus drückt der Opern-Kapellmeister zuallererst in den ersten beiden Sätzen auf die Tube, schaltet aber in ausdrucksvollen Schlusssatz einen Gang runter ... So muss Beethoven sein.

Kaum ist der letzte Ton verklungen, setzt bebender Applaus ein.

Faust beim Gastspiel am Teatro comunale di Bolzano

Emilia Campagna, L’Adige 23.01.2015

In buca, Orchestra Haydn galvanizzata dalla direzione di Anthony Bramall, gesto ampio e ricchezza di dettagli a rendere una partitura dall'imponente effetto e dai colori sgargianti. (Im Graben spielte wie elektrisiert das Haydn Orchester unter der Leitung von Anthony Bramall, der mit großzügiger Gesten, die Partitur eindrucksvoll in detailreichen Farben zu gestalten wusste.)

Premiere Faust von Ch. Gounod an der Oper Leipzig

Peter Korfmacher, Leipziger Volkszeitung 13.10.2014

Als sänge die zerstörte Seele selbst - Faust in der Oper Leipzig

... all das, was aus dem Graben tönt (ist) von erlesener Eleganz. Gounod war ein Meister darin, seine rein harmonisch empfundene Scheinpolyphonie in betörenden Mischklänge unter die Melodie zu gießen. Und Bramall ist ein Meister darin solche Musik mit Leben zu erfüllen und dabei die Sänger auf Händen zu tragen. Ungekünstelt und beherrscht, fein ausbalanciert und klangschön musiziert das fabelhafte Gewandhausorchester um Henrik Hochschild ...

Premiere Faust von Ch. Gounod an der Oper Leipzig

Andreas H. Hölscher, Opernnetz.de

Das Gewandhausorchester unter der Leitung von Anthony Bramall ist an diesem Abend bestens disponiert. Es wird mit großer Leidenschaft musiziert, Bramall trägt die Sänger mit unprätentiösem Dirigat und lässt so den Klangkörper aus Orchester, Chor und Sängerensemble zu einer musikalischen Einheit werden. Die romantischen Momente Gounods werden sauber herausgearbeitet, und der Wechsel zur Dramatik folgt ohne Brüche.

Messa da Requiem von G. Verdi mit dem Gewandhausorchester

Peter Korfmacher Leipziger Volkszeitung vom 30.06.2014

Anthony Bramall hat dieses vertörend schlichte Ende immer fest vor Augen, denkt bei seiner Aufführung am gestrigen Nachmittag das Werk vom Ende her, lässt weder bei den gewaltigen Tag-des-Zorns-Tableaus noch am Tag der Tränen Umwege zu, meidet hier alles Plakative und dort den leisesten Hang von Sentimentalität. Keine Frage: der stellvertretende Chefdirigent der Oper Leipzig hat seinen Toscanini gut gelernt. Denn sein Vorwärtsdrang geht nicht zu Lasten der emotionalen Kraft der Musik, er bringt, ganz im Gegenteil, ihre zutiefst menschliche Schönheit aus sich selbst heraus zum Leuchten.

Messa da Requiem von G. Verdi mit dem Gewandhausorchester

Andreas H. Hölzer, Opernnetz.de

Dirigent Anthony Bramall gestaltet Verdis gefühlsmächtige Totenmusik nicht als sentimentales Totengedenken, sondern mit einem musikdramatischen Spannungsbogen als erschütterndes Seelendrama vom Aufbegehren gegen Schmerz und Leiden, gegen Sterben und Tod, aber auch voller Hoffnung auf Erlösung und Auferstehung. Wirkt das Dies Irae wie Schlachtengetümmel, dann ist Bramall der Feldherr, der seine Truppen zielgerichtet und präzise durch den Sturm leitet, um sie sicher nach Hause zu bringen. Basis für diesen emotionalen Eindruck ist die grandiose musikalische Leistung des Leipziger Gewandhausorchesters, das leidenschaftlich und empfindungsvoll, aber dennoch präzise und transparent musiziert. Bramall kann die verhaltene Einleitung zum Requiem ganz aus der Stille heraus entwickeln. Und mit den ersten Textworten des Chores, gedämpft geflüstert, beschwört er eine enorme musikalische Spannung herauf, die den Zuhörer bannt und bis zum Schluss in Atem hält. Die Dramatik seiner Interpretation zieht er ganz aus der Möglichkeiten des Klanges, den er in tobendem Fortissimo ebenso auslotet wie in leiser Empfindsamkeit. Auf das letzte flehende Libera me folgen fast zehn Sekunden Stille, ehe sich die Spannung in erlösenden und jubelnden Applaus verwandelt.